Das Eigene und das Fremde

Beobachtungen zu einem Buch über die Romantrilogie von Eginald Schlattner

 

Noch schwärmen Siebenbürger Sachsen von ihrem großartigen Treffen in Hermannstadt Anfang August 2017. Werden die Enkel der Ausgewanderten nach dieser Inspiration mit neuem Schwung mehr und mehr Aufgaben auch in der süßen Heimat übernehmen und diese auf sächsische Art stärken? Mir ist diese Sicht auf die Zukunft genauso kürzlich freundschaftlich mitgeteilt worden. Hierbei handelt es sich selbstredend um eine spontane Äußerung nach einem aktuellen Ereignis Andererseits gibt es immer noch festgefahrene Positionen. Eine solche Haltung wird beispielsweise von einer kritischen Sächsin zitiert, die den Kontakt zu ihrer Herkunftskultur bewusst abgebrochen hat: „Die Sachsen sind alles, die anderen sind minderwertig.“ (S.Pichotta: „Schicksale – Deutsche Zeitzeugen in Rumänien“, Schiller-Verlag Hermannstadt-Bonn 2013, S. 111). Seinerzeit ist kein Aufschrei des Für und Wider gegenüber dieser Einstellung zu hören gewesen, aber ganz unabhängig von Ethnozentrismus und Event hat Andreea Dumitru 2017 ein Buch vorgelegt, das den Beziehungen, Wechselwirkungen und Ergebnissen im Zusammenleben der verschiedenen Völker in Rumänien nachgeht, und zwar anhand von Eginald Schlattners Romantrilogie. Die Autorin enfaltet eingängig und schlüssig, wie Schlattner die Welt des Mit-, Neben- und bisweilen auch Gegeneinander in nuce veranschaulicht. Schlattner weiß, wovon er schreibt; denn er hat diesen farbenprächtigen großartigen Mikrokosmos, in dem das siebenbürgische Leben spielt, ausgelebt und durchlitten. So hat er insgesamt ohne Besserwisserei, aber im Mitleiden, Ausharren und Durchstehen ein spannendes Lehrstück entworfen, aus dem Zukunftswissen geschöpft werden kann.

 

„Der geköpfte Hahn“ (1998) bildet bewegend (!) das traditionell erstarrte Nebeneinander der Ethnien ab, wie freundlich es im Einzelnen auch immer sich gestalten mag. „Rote Handschuhe“ (2000) führt aus den siebenbürgischen Ebenen und Höhen in eine „Miniaturgesellschaft“ wie die Autorin sich ausdrückt: „Interkulturelles Treffen in der Zelle 28“ lautet eine Zwischenüberschrift ihres Buches. Hinter Gittern „eine Art Klassenzimmer“, „in dem man durch gezwungene Interaktion interkulturelle Kontakte knüpft, die in der Freiheit unmöglich gewesen wären“ (S.127) . Weil sich die Verhafteten dieser Realität nicht entziehen können, werden Lernprozesse initiiert und aktiviert: „Die Inhaftierten werden mit unterschiedlichen Kulturen, Sprachen, Konfessionen, Wert- und Normvorstellungen konfrontiert, die sie dann mit den eigenen vergleichen“. (S. 129) Die wachsende interkulturelle Kompetenz bewirkt zusehends ebensolche Kommunikation untereinander. „Das Klavier im Nebel“ (2007) veranschaulicht drastisch Deportation und Enteignung des siebenbürgisch-sächsischen Bürgertums, aber gerade auf diesem gesellschaftlichen Schicksalsweg eben auch Liebe, hier exemplarisch zwischen Clemens Rescher und der Rumänin Rodica Neagoie, „Kuhmagd, Klavierspielerin und Bibliothekarin“ (S. 86). Dazu tritt auch eine andere Lebenswelt aus fremden kulturellen und sozialen Zusammenhängen, wie z. B. am Hirten Bade Timoftei sichtbar wird. Das junge Paar gewinnt Kenntnisse vom Leben des anderen und entwickelt dergestalt einen interkulturellen Horizont. Realistisch, nüchtern und bitter zugleich die Bilanz von Dumitru: „Der Roman zeigt, dass Lebensformen von historischen Gegebenheiten direkt beeinflusst werden. Der kommunistische Eingriff in das Leben der Menschen wirkt sich auf alle Bereiche aus und bedeutet im Sinne des interkulturellen Dialogs sogar eine Bereicherung.“ (S. 119). Was die Literatur- und Kulturforscherin hier beschreibt, ist mit Schlattners opus magnum faktisch und zugleich symbolisch ebenfalls geschehen: Die Romane „Der geköpfte Hahn“ und „Das Klavier im Nebel“ wurden 2006/07 bzw. 2009/10 von dem rumänischen Regisseur Radu Gabrea verfilmt. (Vgl. Gabriela Calutiu-Sonnen-berg, „Abschied in Rothberg. Eine Begegnung mit Eginald Schlattner“, in: Deutsches Pfarrerblatt 8/2017). Eine Grenzüberschreitung aus zwei Kulturhorizonten heraus und eine Bereicherung für zwei Seiten einer gemeinsamen Gesellschaft!

 

Auf einer weiteren Ebene vollzieht sich ebenfalls eine sachte Bewegung zur Begegnung und Entdeckung des anderen. Die rumänische Mehrheitsgesellschaft bemerkt das architektonische Erbe der sächsischen Gemeinschaft langsam als gesamtkulturelles Anliegen. Das zeigt sich im Interesse von verschiedenen Verwaltungsebenen am Erhalt der Kirchenburgen, und eine sächsische Stiftung fördert dieses Interesse, das in größere Verantwortung eng von Kommunen und Staat münden soll.

 

Der 1933 geborene Schlattner selbst hat bereits viele Monate vor seinem 80. Geburtstag einen Akt der inneren Befreiung erlebt und im damaligen Advent mit einer öffentlichen Geste des Segens symbolisch das Rothberger Kirchengebäude an die neuen Bewohner und alten Sorgenkinder übergeben, an die Waldorfschule „Hans Spalinger“ und die darin unterrichteten Kinder der dunklen Geschwister unten vom Bach. Der pensionierte Pfarrer konnte natürlich keinen juristische Übergabe vollziehen. Es war eine sinnbildliche Übergabe vom Herzen her, die zeigte, dass er die kulturelle Transformation verstanden hat und bejaht. Er kann das Krippenspiel nun in der Sprache der Mehrheit hören, gespielt von der gebeutelten ziganen Ethnie. Die Laute mögen fremd klingen, ihm sind sie vertraut und er kann darin auch die eigene Sehnsucht nach Ewigkeit vernehmen und erwirbt so Bürgerrecht im Zukunftsland.

 

Zu Schlattners 84. Geburtstag am 13. September liegt dieser Titel von Andreea Dumitru gewiss längst auf dem Gabentisch. Es zeugt von der kulturellen Kompetenz des 50. evangelischen Pfarrers in Rothberg. Was die Autorin darin akademisch analysiert, klingt nie langweilig, sondern zeugt von dieser Kraft des Protagonisten. Nicht zuletzt ist das Buch selbst auch Teil der Lebensprozesse, die es beschreibt. Und im Mai 2018 sollen die „Roten Handschuhe“ dann auf Russisch im Buchhandel sein!

 

Jens LANGER