Vorwort des Buches
„Inter- und Multikulturalität in Eginald Schlattners Romantrilogie Versunkene Gesichter“
Honterus-Verlag, Sibiu, 2017
Warum gerade die Romantrilogie von Eginald Schlattner?
Die Vorgeschichte zum vorliegenden Text beginnt mit einer 2002 stattgefundenen Begebenheit. Nach dem Besuch eines Chorkonzertes in der evangelischen Stadtpfarrkirche Hermannstadt hatte die Verfasserin Gelegenheit, sich mit den Chormitgliedern aus Deutschland zu unterhalten. Im Gespräch fiel auch der Name des Rothberger Schriftstellers, war doch das Echo seines im Jahr 2000 erschienenen Romans Rote Handschuhe im deutschsprachigen Ausland sehr stark gewesen. Nach längerer Unterhaltung bot eine Dame aus dem Chor an, die zwei Romane als Geschenk nach Hermannstadt zu schicken. Nach zwei Wochen lagen die Bücher auf dem Schreibtisch der Verfasserin. Der Einstieg erwies sich anfangs als ziemlich schwierig, weil die Hintergrundinformationen teilweise fehlten. Beim dritten Roman, Das Klavier im Nebel, der im rumänischen Buchhandel erworben werden konnte, kristallisierte sich jedoch ein Gesamtbild heraus; nun war das Interesse der Leserin wiedererweckt, sodass die ersten zwei Romane erneut unter die Lupe genommen wurden. Die Entscheidung, die drei Romane eingehender zu analysieren, kam 2009; der persönliche Kontakt zu Herrn Schlattner wurde Anfang 2010 durch gemeinsame Bekannte hergestellt. Wie bereits aus dem ersten Abschnitt ersichtlich, bildet die Romantrilogie Versunkene Gesichter die Grundlage für das vorliegende Buch. Die Romane Der geköpfte Hahn, Rote Handschuhe und Das Klavier im Nebel sind dem Raum, in dem sie entstanden sind, verpflichtet und stellen die Welt Siebenbürgens in der Zeitspanne 1942-1960 dar. Dabei werden historische Ereignisse mit persönlichen und kollektiven Schicksalen verflochten. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen die Siebenbürger Rumänen und die Siebenbürger Sachsen, wobei auf die anderen Ethnien (oder Konfessionen) wenig bis kaum Bezug genommen wird. Die Art der Beziehung zwischen Rumänen und Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert wurde von ihrer jahrhundertelangen gemeinsamen Geschichte entscheidend geprägt. Die multikulturelle Welt Siebenbürgens veränderte sich zusehends nach der Vereinigung mit dem rumänischen Altreich im Jahre 1918. Nicht nur dieses Ereignis beeinflusste die Kontakte zwischen den untersuchten Bevölkerungsgruppen, sondern auch der Zweite Weltkrieg und die Machtergreifung durch die Kommunisten. Das politische Geschehen verursacht eine Intensivierung der interkulturellen Kontakte. Diese Kontakte zwischen den Siebenbürger Rumänen und den Siebenbürger Sachsen – so wie sie in den Romanen dargestellt werden – sind Ziel der Untersuchung. Das Werk Schlattners bringt Vertreter aller Ethnien und Konfessionen in den Vordergrund, doch der Schwerpunkt liegt auf den Siebenbürger Sachsen, deren „Sohn“ er ist, und ihren Beziehungen zur Mehrheitsbevölkerung. Die Analyse konzentriert sich auf den schrittweise vollzogenen Paradigmenwechsel. Die Multikulturalität weicht allmählich einer gelebten Interkulturalität, wobei die Romane als literarische Zeugen fungieren. Das Leben in Siebenbürgen unterliegt einem Veränderungsprozess, den sowohl die Rumänen als auch die Sachsen skeptisch betrachten. Der Bruch mit den tradierten Normen und Werten und der Wandel in der gesellschaftlichen Struktur verursachen neue Wirklichkeiten, die von den Bewohnern Siebenbürgens zu bewältigen sind. Die interkulturellen Beziehungen, die ihnen anfangs aufgezwungen werden, erweisen sich im kommunistischen Regime als lebensnotwendig und manchmal sogar als lebensrettend.
Andreea Dumitru (Literaturwissenschaftlerin)